Montag, 9. Januar 2012

BGH zur vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung


Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 11. Mai 2011 entschieden (Az.: IV ZR 148/09), dass ein Versicherer nur verpflichtet ist, beim Antragsteller wegen der im Antrag gemachten Angaben nachzufragen, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die erteilten Auskünfte nicht richtig sein können und für eine sachgerechte Risikoprüfung weitere Informationen erforderlich sind.


Im Jahr 2003 hatte die Klägerin bei dem beklagten Versicherer eine Risikolebensversicherung in Kombination mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen. Im Versicherungsantrag beantwortete sie die Frage nach Erkrankungen der Haut sowie die nach Allergien mit „ja“. Erläuternd gab sie an, dass sie seit ihrer Geburt unter Neurodermitis litt und Medikamente einnehmen würde. Hingegen verneinte sie die Frage, ob sie in den letzten fünf Jahren unter einer Erkrankung der Atmungsorgane gelitten hatte und ob sie regelmäßig Medikamente einnahm. Daraufhin wurde der Antrag unter Ausschluss der Neurodermitis und ihrer Folgen versichererseitig angenommen. Bei der Klägerin wurde im Mai 2006 eine Brustkrebs-Erkrankung festgestellt und diese erfolgreich behandelt. Deswegen war die Klägerin von Anfang Juni bis Ende Dezember 2006 bedingungsgemäß berufsunfähig.
Nach Beantragung der Zahlung der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente, stellte der Versicherer im Rahmen seiner Ermittlungen fest, dass die Klägerin seit 1998 wegen Asthma bronchiale behandelt worden war. Diese Erkrankung hatte sie in dem Versicherungsantrag jedoch ebenso wenig angegeben wie den Namen des behandelnden Arztes. Auch dass sie wegen der Erkrankung regelmäßig Medikamente nehmen musste, hatte die Klägerin in dem Antrag verschwiegen.
Der Versicherer lehnte die Zahlung einer Berufsunfähigkeits-Rente ab, erklärte gleichzeitig seinen Rücktritt vom Vertrag und focht ihn wegen arglistiger Täuschung an.
Daraufhin reichte die Klägerin Klage beim Frankfurter Oberlandesgericht ein und dies mit Erfolg.
Nach Auffassung des Gerichts hat sich die Klägerin nämlich keiner vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung schuldig gemacht, welche die Maßnahmen des Versicherers rechtfertigen würde. Eine Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung ist nach Meinung der Richter nicht möglich. Denn eine solche Anfechtung setzt voraus, dass ein Versicherungsnehmer objektiv falsche Angaben in Täuschungsabsicht gemacht hat. Zutreffend ist zwar, dass die Klägerin bei der Frage nach Erkrankungen der Atmungsorgane die Asthma-Erkrankung nicht angegeben hat. Ihre auf einen Eintrag im Internetlexikon Wikipedia gestützten Auffassung, dass das nicht nötig gewesen sei, weil das Asthma eine Folge der von ihr angegebenen Neurodermitis ist, war der Klägerin nach Meinung des Gerichts aber nicht zu widerlegen. Denn bei Wikipedia heißt es zum Stichwort Neurodermitis unter anderem: „Neben den Hauterscheinungen sind Heuschnupfen oder Asthma bei Patienten mit atopischen Ekzemen in einigen Fällen ebenfalls vorhanden … Ein Großteil der Patienten mit Neurodermitis leiden zusätzlich unter Allergien.“
Das Gericht hielt die Erklärung der Klägerin für plausibel, dass sie eine Verbindung zwischen ihrer Neurodermitis und ihrem allergischen Asthma sieht. Folglich hat sie die Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag nicht falsch beantwortet, sondern ihr allergisches Asthma lediglich der falschen Rubrik zugeordnet. Das reicht aber nicht dazu aus, um der Klägerin eine für einen Vertragsrücktritt erforderliche Täuschungsabsicht nachzuweisen.
Die von dem Versicherer in der Revision angerufenen BGH-Richter wollten dem nicht folgen. Gemäß ständiger BGH-Rechtsprechung ist ein Versicherer zwar grundsätzlich dazu verpflichtet, bei einem Antragsteller nachzufragen, wenn dieser in einem Versicherungsantrag ersichtlich unvollständige oder unklare Angaben macht. Eine Nachfrage obliegt dem Versicherer jedoch nur dann, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bisher von dem Versicherungs-Interessenten erteilten Auskünfte nicht abschließend oder nicht richtig sein können und deshalb weitere Informationen für ein sachgerechte Risikoprüfung erforderlich sind.
Im vorliegenden Fall konnte der Versicherer zwar erkennen, dass die Frage zu der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten nicht richtig beantwortet wurde. Dieses musste ihn jedoch nicht zu einer Nachfrage veranlassen. Denn die Klägerin hatte in dem Antrag ergänzend die Namen der wegen ihrer Neurodermitis einzunehmenden Medikamente sowie den Namen des behandelnden Arztes genannt.
Daher musste der Versicherer auch nicht annehmen, dass die Klägerin wegen weiterer Erkrankungen, hier wegen Asthma, behandelt wurde, auch wenn die Asthmaerkrankung mit der Neurodermitis zusammenhing.
Unter den gegebenen Umständen wollten es die Richter des Bundesgerichtshofs nicht ausschließen, dass der Versicherer zu Recht seine Leistungsverpflichtung verneint und den Vertrag angefochten hatte. Das Gericht hat den Fall daher an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese hat nun unter anderem zu prüfen, ob die Klägerin nachvollziehbar erklären kann, warum sie die Asthmabehandlung nicht im Versicherungsantrag angegeben hat. Denn ihre bisherigen Angaben reichen den Richtern des BGH nicht dazu aus, dass der Klage der Frau stattgegeben werden kann.
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