Das Landgericht Hamburg hat mit Urteil vom 2. Juli 2010 entschieden (Az.: 331 S 137/09), dass Autofahrer, die bei winterlichen Straßenverhältnissen mit Sommerreifen unterwegs sind, im Fall eines Unfalls nicht zwangsweise damit rechnen müssen, dass ihm sein Vollkasko-Versicherer nach neuem Recht wegen grober Fahrlässigkeit nur einen Teil des Schaden ersetzt. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an.
Anfang 2009 war der Kläger in Hamburg unterwegs, als sein Fahrzeug nach einsetzendem Schneefall auf einer abschüssigen Straße ins Rutschen geriet und gegen eine Mauer prallte. Den Fahrzeugschaden in Höhe von fast 2.200 Euro machte er gegenüber seinem Vollkasko-Versicherer geltend. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls mit Sommerreifen fuhr, wollte sich dieser gemäß § 81 Absatz 2 VVG wegen grober Fahrlässigkeit nur zum Teil an den Aufwendungen beteiligen.
Der Versicherte wies in seiner gegen den Versicherer gerichteten Klage den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit weit von sich. Als er losgefahren sei, habe es noch nicht geschneit. Der Unfall hätte sich angesichts der abschüssigen Straße im Übrigen auch dann ereignet, wenn sein Fahrzeug mit Winter- oder Ganzjahresreifen ausgerüstet gewesen wäre.
Die Richter fanden das überzeugend und gaben der Klage des Versicherten auf vollen Ersatz seines Schadens abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung statt.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und dasjenige nicht beachtet wird, was im konkreten Fall jedem Verkehrsteilnehmer hätte einleuchten müssen. Sie setzt neben einem objektiv verkehrswidrigen Verhalten subjektiv ein erheblich gesteigertes Verschulden voraus, so das Gericht.
Das Gericht zeigte sich zwar überzeugt davon, dass der Kläger fahrlässig gehandelt hat, indem er mit Sommerreifen unterwegs war. Ein grob fahrlässiges Handeln wollten die Richter ihm jedoch nicht unterstellen. Denn die Witterungsverhältnisse waren am Tag des Unfalls wechselhaft. Außerdem waren nicht alle Straßen in Hamburg mit Schnee bedeckt. Hamburg gehöre zudem nicht zu jenen Regionen, in denen typischer Weise mit winterlichen Straßenverhältnissen gerechnet werden müsse.
Im Übrigen hielt es das Gericht angesichts der abschüssigen Straße für nicht ausgeschlossen, dass es zu dem Unfall auch dann gekommen wäre, wenn der Kläger sein Fahrzeug mit Winter- oder Ganzjahresreifen ausgerüstet hätte. Denn allein die Tatsache, dass der Kläger von der Straße abgekommen und gegen eine Grundstücksmauer geprallt ist, lässt nicht auf ein grob fahrlässiges Verhalten schließen.
Das Urteil ist rechtskräftig und deckt sich mit der Rechtsauffassung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Dieser hatte im November 2010 erklärt, dass sich ein Vollkaskoversicherer bei Benutzung von Sommerreifen nur dann auf den Einwand grober Fahrlässigkeit berufen kann, wenn ein Autofahrer vor Fahrtantritt oder während der Fahrt hätte erkennen müssen, dass Sommerreifen angesichts der Straßenverhältnisse völlig ungeeignet sind.
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