Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 6. November 2009 entschieden (Az.: 14 U 42/08), dass den Insassen eines Autos, der sich anzuschnallen versäumt hat, im Falle einer Verletzung nicht in jedem Fall ein Mitverschulden trifft. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an.
Die Klägerin war innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit ihrem Pkw unterwegs, als sie mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Dessen Fahrer hatte auf regennasser Fahrbahn die Gewalt über sein Auto verloren und war mit circa 90 km/h in den Gegenverkehr geraten. Dabei erlitt die Klägerin schwere Verletzungen. Ihr mit im Fahrzeug sitzender Ehemann wurde so schwer verletzt, dass er wenige Tage nach dem Unfall verstarb. Trotz mehrmonatigem Krankenhausaufenthalt sowie einer anschließenden Behandlung in einem Rehabilitationszentrum war die Klägerin wegen der Unfallfolgen auf fremde Hilfe angewiesen.
Der Versicherer des Unfallverursachers wollte ihre Schmerzensgeld-Forderungen sowie die Kosten für eine Haushaltshilfe trotz allem nur zum Teil begleichen, da sich heraus stellte, dass die Klägerin bei dem Unfall nicht angeschnallt war. Der Kfz-Haftpflichtversicherer warf ihr daher vor, ihre Verletzungen in erheblichem Maße mitverschuldet zu haben. Den Mitverschuldensanteil bemaß er mit einer Quote von einem Drittel.
Die Verletzte verteidigte sich in ihrer gegen den Versicherer gerichteten Klage damit, dass sie wegen ihres erheblichen Übergewichts Schwierigkeiten gehabt habe, sich anzuschnallen. Im Übrigen wäre sie wegen des groben Verkehrsverstoßes des Unfallverursachers auch dann verletzt worden, wenn sie angeschnallt gewesen wäre.
Die Karlsruher Richter sahen das ähnlich und gaben der Klage auf Erstattung des restlichen Drittels statt.
Wenn bei einem Unfall ein nicht angeschnallter Autoinsasse verletzt wird, spricht zwar der Beweis des ersten Anscheins gegen den Verletzten. Dieser Beweis kann aber durch die Umstände des Einzelfalls erschüttert werden.
In dem vorliegenden Fall hatte ein durch das Gericht beauftragter Sachverständiger festgestellt, dass die Klägerin angesichts der hohen Aufprallgeschwindigkeit auch bei angelegtem Gurt ähnlich schwere Verletzungen erlitten hätte. Der Gutachter wollte noch nicht einmal ausschließen, dass die Klägerin bei angelegtem Gurt tödliche Bauchverletzungen erlitten hätte.
Nach Meinung Gerichts wäre die Klägerin trotz ihres Leibesumfangs zwar rein rechtlich dazu verpflichtet gewesen, sich anzuschnallen. Angesichts der Gesamtumstände tritt jedoch ein mögliches Mitverschulden hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Unfallverursachers zurück.
In einem ähnlich gelagerten Sachverhalt war das Oberlandesgericht Naumburg im Februar 2008 zu einer vergleichbaren Einschätzung gelangt. Seinerzeit war ein unangeschnallter Fahrzeuginsasse verletzt worden, weil sich der Unfallverursacher in grober Weise über die Verkehrsvorschriften hinweggesetzt hatte. Der Versuch des Kfz-Haftpflichtversicherers, die Schmerzensgeldforderung des Verletzten um ein Drittel zu kürzen, wurde auch in diesem Fall von den Richtern nicht akzeptiert.
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